"Da steht er ganz unschuldig"
»Och nein!«, denke ich, als ich vor dem völlig zerkratzten Opel Corsa stehe, zu dem mir der Mitarbeiter des Mietwagenverleihs den Schlüssel in die Hand drückt. Ich schicke eine stumme Verwünschung in Richtung meines Arbeitgebers, der mal wieder Kosten und Mühen gescheut hat. Aufseufzend umrunde ich das Prachtexemplar. Zahlreiche Dellen und Schrammen zeugen von meinen Vormietern. Besonders der linke Seitenspiegel erzählt von Fahrern, die wie ich Rechtsverkehr gewöhnt sind. Doch es hilft nichts. Eine Woche lang sollen mein neuer Gefährte und ich den Linksverkehr meistern und Irland erkunden. Überraschend verläuft unser Start problemlos. Das Fahren auf der „falschen“ Seite der Straße klappt und ich erreiche jeden Abend heil die vorgebuchten B&Bs. Es ist ja auch nicht so, dass ich etwas gegen den Opel Corsa hätte. Im Gegenteil, ich fahre zuhause selbst einen. Aber gerade deswegen kenne ich seine liebenswerten Eigenschaften: dieser kleine Eigensinn der Gangschaltung, diese Gemütlichkeit des Gaspedals – all die Spleens dieses Unikums eben.
So kommt der dritte Tag – und mit dem zunehmenden Nebel auf den einsamen Straßen der irischen Westküste wächst mein Wunsch, mir das nächste Mal selbst einen todschicken Flitzer zu mieten. Vor mir türmen sich die MacGillycuddy Mountains auf. Die Straße windet sich steil, kurvenreich und unübersichtlich die Hänge hinauf. Ich schalte runter, doch der Corsa verlangsamt dickköpfig weiter die Fahrt. Langsam wünsche ich mir, ich könnte den Boden durchstoßen und wie Fred Feuerstein den vor mir liegenden Berg hochlaufen. Ich sehe schon die Schlagzeile: »Deutsche Reisegruppe am Dubliner Flughafen gestrandet«. Klingt gar nicht so unwahrscheinlich, wenn ihre junge Reiseleiterin auf Erkundungsfahrt zuvor in den Bergen verschwunden ist.
"Der neugierige Schafbock"
"Halbwilde irische Ponys"
"Besagte Ponys auf der Straße"
Vor mir wölbt sich die Straße über die nächste Kuppe, ich presse beinahe die Nase an die Windschutzscheibe – und lege eine scharfe Vollbremsung hin. Auf der anderen Seite steht ein Schafbock mitten auf der Straße und beäugt mich interessiert, in aller Ruhe wiederkäuend. Das reinste irische Klischee. Vorsichtig fahre ich im Schritttempo auf ihn zu. Endlich geht er seines Weges. Erleichtert atme ich auf, fahre weiter – und lege die nächste fast nasenbrechende Bremsung hin. Vier halbwilde Connemara-Ponys stehen im Nebel auf der Straße. Dieses Mal hilft es nichts, ich muss den Wagen verlassen. Im inzwischen eingesetzten Regen versuche ich, die Tiere wegzuführen. Die scheinen meine Gesellschaft aber als gelungene Abwechslung zu empfinden. Endlich sitze ich durchgefroren und nass wieder im Auto, drehe die Heizung hoch – und bin mit einem Mal sehr dankbar für diesen Komfort.
Und schließlich bringt mich der Corsa sicher ins nächste B&B, wo Tee und Dusche schon auf mich warten. Nachts träume ich von meinem nächsten Urlaub in Schottland. Natürlich mit dem Mietwagen – denn eine schönere Art zu reisen gibt es für mich nicht. Und die besten Anekdoten sammelt man auf diese Weise auch noch.