Roadtrip mit "Olaf"
Vorab muss ich vielleicht sagen: Ich bin Studentin. Und ja, ich studiere auf der Sonnenseite, heißt übersetzt: ich hatte Zeit, im Sommer zwei Monate lang mit einem knallblauen Opel Vivaro Bus durch die Pampa zu fahren. Diese Zeit können nicht viele Studenten aufbringen (Grüße an all die Juristen, Chemiker und Ärzte von Morgen) - deshalb habe ich mich allein aufgemacht. Ungefähre Richtung: Südwest.
Der Vivaro gehört meinem Vater, der natürlich wenig begeistert davon war, dass seine gerademal neunzehnjährige Tochter vorhatte, 1. seinen Bus zu entführen, 2. damit sechstausend Kilometer zurückzulegen und 3., den Bus „Olaf“ zu nennen. Er gab ihn mir nur unter der Bedingung, dass ich ihn auch ja wieder Heil zurückbrachte. Zu circa 75% habe ich das auch geschafft. Der Rest tut mir leid, Olaf, wirklich.
Die Tour begann dann erstmal auf dem kleinen Parkplatz vor dem Getränkemarkt, auf dem mein Vater mir zunächst beibringen musste, wie man mit Automatik fuhr. Das war einfacher als gedacht, und es war ein komplett neues Gefühl, so weit oben erhaben über den ganzen anderen Autofahrern zu sitzen. Olaf war glücklich, ich war glücklich. Zuhause schleppten meine Mutter und ich die alte Matratze meines Bruders in den Laderaum, dazu noch eine Kiste mit Süßkram, und dann konnte es losgehen.
Der erste Stopp war Tirol. Um keine Mautgebühren zahlen zu müssen, umging ich die Autobahnen und tuckerte stattdessen mit Olaf über sich windende Straßen zwischen Apfelplantagen hindurch. Ich hatte noch gar kein Gefühl für die Größe des Lieferwagens, und dachte ständig, ich würde in den engen Wegen stecken bleiben - aber Olaf tuckerte gemütlich zu meiner ersten Anlaufstelle, einem Campingplatz in der Nähe von Meran. Dort wollte ich eigentlich ein paar Tage wandern, aber dann begann es zu regnen, und es regnete nicht wie Wetter - es regnete wie Weltuntergang. Also machte ich schon nach einem Tag, dass ich da wegkam. Nächster Halt: Verona.
Zwischenstopp in Verona
Ich war schon als Kind mit meinen Eltern in Verona. Es ist die Stadt, in der sich Romeo und Julia tragisch verliebt haben, und weil ich Julia heiße, habe ich Verona zu meiner Lieblingsstadt in Italien erklärt. Sie ist auch einfach malerisch schön, die Arena, die Gassen, die Kellner, die dich mit Wein und Pasta in ihre Lokale locken. Olaf parkte ein Stück außerhalb und ich übernachtete in einem Hostel mitten in der Stadt, dessen Besitzerin ausgeflogen war. Den Schlüssel hatte sie mir (und den anderen drei Gästen) unter die Fußmatte gelegt - ganz die italienische Mentalität eben.
David und Ramesh aus London und Diego aus Costa Rica hatten von diesem riesigen See in der Nähe gehört, den sie unbedingt einmal sehen wollten - also packten wir unsere Sachen in den Bus und fuhren nach Sirmione, David und Ramesh im Lieferraum, Diego auf dem Beifahrersitz. Der Verkehr in Italien (vor allem diese zweispurigen Kreisel) ist ziemlich nervenaufreibend, deshalb war ich froh, als Olaf unbeschadet am Gardasee ankam, und wir den restlichen Tag in der Sonne verbringen konnten. Am Abend hieß es Abschied nehmen, die Jungs nahmen den Zug zurück nach Verona und würden in ein paar Tagen zurück nach Hause fliegen. Ich fuhr erst einmal weiter nach Westen.
Olaf am Gardasee
Serpentinen am Gardasee in Richtung Mailand und Genua
Wenn man von Mailand aus Richtung Genua fährt und die Autobahn meidet, hat man das Gefühl, man wäre in den Bergen Südamerikas. Stundenlang geht es am türkisen Wasser eines Flusses entlang durch Serpentinen, ohne je einer Menschenseele zu begegnen. Hier und da gibt es Wege, die zum Fluss führen (ich weiß bis heute nicht, welcher Fluss das war), also blieb ich eine Nacht im absoluten Nichts, zwischen Bergen und Bäumen und Abermilliarden Sternen, aß Kekse und duschte am nächsten Morgen im Fluss - wenn man das so nennen kann.
Mein nächstes Ziel war Portofino, aber meine Orientierung war noch nie die Beste, und im Nachhinein ist das vielleicht auch ganz gut so. Umwege erweitern bekanntlich den Horizont. Ich fuhr nämlich direkt an Portofino vorbei.
Mit dem Bus unterwegs von Genua nach Cinque Terre
Auf meinem Navi hatte ich eine winzige kleine Stadt entdeckt, zu der keine Straße führte. Sie lag direkt am Meer und heute weiß ich, dass man Vernazza besser mit dem Zug oder dem Boot erreicht. Sie gehört nämlich zu Cinque Terre und ist umgeben von einem Nationalpark. Die Straßen dort haben diese Bezeichnung eigentlich gar nicht verdient. Es reizte mich, dorthin zu kommen. Das Navi sagte, dass das nicht möglich war, aber was wusste das Navi schon. Im Nachhinein habe ich mich verflucht, und Olaf hat mich wohl gehasst, als ich ihn über abschüssige Schotterpisten lenkte.
Rechts ging es mindestens zwanzig Meter steile Klippen hinunter, der Weg war kaum breit genug für Olaf, geschweige denn für ein entgegenkommendes Auto. Hin und wieder kamen mir tatsächlich Autos entgegen, und einmal fuhr ich einen ganzen Kilometer im Rückwärtsgang zurück, bis es eine Stelle gab, an der wir aneinander vorbei fahren konnten. Es dauerte bestimmt einen ganzen Tag, bis ich endlich auf einem großen Parkplatz landete, auf dem ein paar Camper parkten. Ich hatte keine Ahnung, dass ich auf dem Parkplatz die nächsten drei Tage verbringen würde.
Ich schnappte mir also meinen Rucksack und lief die letzten Kilometer bis zur Stadt, und was soll ich sagen? Wunderschön, ja. Aber so viele Menschen! Es leuchtete mir nicht ein, wo die alle herkamen, bis ich den Bahnhof sah. Und die Schiffe. Es gab eine Fähre, die alle kleinen Städtchen Cinque Terres miteinander verband, damit sich die Leute nicht über die Schotterpisten quälen mussten. Hätte ich das mal eher gewusst.
Ich hatte mich schon darauf eingestellt, den Abend auf dem Parkplatz zu verbringen, und dort traf ich zufälligerweise eine Großfamilie aus Regensburg, die mit zwei riesengroßen Wohnmobilen gekommen war. Ich frage mich noch immer, wie sie das geschafft haben. Jedenfalls erzählten sie mir, dass vor ein paar Stunden ein Teil der Straße eingebrochen war, und wir alle nun auf diesem Parkplatz festsaßen, bis das Problem behoben war. Allerdings ließen sie sich davon nicht beirren, packten zwei lange Tafeln aus und luden mich auch noch gleich zum Abendessen ein. Sie packten eine Menge an Essen aus, die auch für vier Großfamilien noch zu viel gewesen wäre. Foccacia, Salate, Obst und Gemüse und drei ganze Brathähnchen. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich in diesen drei Tagen auf dem Parkplatz nicht verhungert bin.
Cinque Terre Nationalpark
Blick auf Cinque Terre
Die nächsten drei Tage fuhr ich also mit den Fähren von Stadt zu Stadt, lag auf Felsen am Meer und traf mich abends mit der netten Familie, die mir zum Abschied dann eine ganze Melone mit auf den Weg gab. Seitdem bin ich der Überzeugung, dass man nirgends so gut vorbereitete und so hilfsbereite Menschen trifft wie auf Parkplätzen in italienischen Nationalparks. Aber vielleicht sollte man nicht mit dicken Lieferwägen nach Cinque Terre fahren.
Nach diesem ungeplanten Ausflug sehnte ich mich zurück nach ein bisschen Stadt, also düste ich als nächstes nach Nizza. Olaf ließ ich wieder ein Stück außerhalb stehen (ich sollte mich dafür noch hassen) und übernachtete in einem tollen Hostel in der Nähe des Strandes. Am ersten Abend lernte ich so viele Leute kennen, dass wir anfingen, uns mit den Namen unserer Herkunftsländer anzureden statt mit Vornamen. Und dann klapperten wir Bars ab, in dem Versuch, eine Bar für jedes Land zu finden - und endeten in einer australischen. Die nächsten Tage in Nizza waren ein Traum. Zwei Mädchen aus Belgien fragten sich nach den besten Cafés durch, und dann aßen wir eine Woche lang le fromage, baguette et croissants.
Unterwegs in Nizza
Nach einer Woche fiel es mir gar nicht so leicht, die Stelle wiederzufinden, an der ich Olaf geparkt hatte. Zwei Stunden lang suchte ich also die Stadt nach meinem blauen Bus ab - und dann war ich wahnsinnig erleichtert, als er brav in einer Gasse auf mich wartete. Nächster Stopp: Grasse.
Ich lese gern und damals las ich gerade Das Parfum. Die Handlung spielt hauptsächlich in Grasse, einem kleinen Städtchen, und dort verbrachte ich einen Tag. Es riecht dort überall wahnsinnig gut, in einer Gasse nach dem Chocolatier, in der anderen nach Lavendel. Ich probierte Schokolade und besichtigte eine alte Parfummanufaktur, und am nächsten Tag ging es weiter.
Auf meiner Tour bin ich noch über einige Besonderheiten gestolpert, die komplett den Rahmen sprengen würden. Ich übernachtete vier Tage an einem Canyon, fand einen völlig unbekannten und türkisgrünen See mitten im Nirgendwo, fuhr (ausversehen) durch ein Gebiet für militärische Übungen und bestaunte die Yachten in Saint-Tropez.
Blick über Grasse
Lavendel in der Provence
Lac du Saint-Croix
Calanques Klippen bei Marseille
Die Reise nahm ihr Ende dann in Marseille. Ich ging einen Tag lang in den Calanques wandern, das ist ein wundervolles Naturschutzgebiet am Meer. Das Wasser schimmert türkis und es gibt hunderte kleine Buchten, die alle komplett atemberaubend sind. Als ich am Abend zurück auf den Parkplatz kam, hatte man mir ein Fenster eingeschlagen. Ich hatte noch Glück im Unglück: Es wurde nichts geklaut, auch das Navi war noch da. Ich sah das als Zeichen, nach Hause aufzubrechen.
Olaf hatte ohnehin keine Klimaanlage, deshalb störte mich der Zug nicht, aber als ich über den Serpapass der Schweiz zurück nach Deutschland fuhr, holte ich dann doch die Jacke aus dem Koffer. Dieser Pass ist ein befahrbarer Gletscher - wieder etwas, dass ich nicht gewusst hatte. Ich bestaunte also noch ein wenig die Schweizer Alpen, dann befand ich mich wieder auf der deutschen Autobahn auf dem Weg nach Hause.
Papa riss mir nicht den Kopf ab, als er Olaf sah. Und heute geht es dem Bus auch wieder gut. Seine Fenster sind wieder ganz und er steht brav am Hof meines Vaters. Vielleicht hat er jetzt genug von Abenteuern. Vielleicht freut er sich aber auch schon auf das Nächste.