Manchmal hast du keine Ahnung, weshalb du die Augen zur richtigen Zeit am richtigen Ort hast, und ganz schnell bist du dabei, so etwas Schicksal zu nennen. Ich kann also nur vermuten, dass das Ganze genau so passieren sollte. Ich studierte in Berlin und lebte mit meinem Freund zusammen. An diesem Samstag im Juni des Jahres 1999 war ich besonders früh aufgestanden, und ich hatte mir den „tip“ geholt, die Berliner Stadtillustrierte. Rückblickend schätze ich, dass ich damals nach Ferienjobs Ausschau hielt. Jedenfalls war es noch vor 8h am Samstag, und ich entdeckte die folgende Anzeige: „Wer fährt unsere Ente für 200 DM nach Korsika?“
Ich war wie vom Donner gerührt; sofort weckte ich meinen Freund und fragte ihn, ob er mit von der Partie wäre. Er murmelte verschlafen jaja, und ich griff zum Telefon. Mir klopfte das Herz ziemlich heftig, um diese Zeit bei jemandem anzurufen, aber ich hatte das Gefühl, ich sollte besser schnell sein.
Und tatsächlich. Ich war die erste. Wir bekamen den „Job“. Später berichtete die Besitzerin völlig aufgelöst, das Telefon habe nach unserem Gespräch keine Sekunde still gestanden, Menschen bettelten darum, die Ente nach Korsika bringen zu dürfen, auch ohne Geld … aber sie stand zu ihrem Wort.
Auf nach Korsika!
Die rote Ente
Und so machten wir uns im August 1999 von Berlin aus auf den Weg. Es war ein unfassbar tolles Gefühl - nicht in einem Opel oder Golf oder Audi zu sitzen wie in meiner Kindheit und nach einer Ente Ausschau zu halten, sondern selbst in einem roten 2CV zu sitzen, angehupt, angewinkt, angelächelt zu werden.
Nun ja, unfassbar toll bis in die Kasseler Berge. Ich merkte, wie ich mich in den Steigungen nach vorne beugte, als könnte das dem Entlein helfen, den Berg zu bewältigen. Mir wurde ein bisschen mulmig, als immer wieder Lastwagen drohten, auf uns aufzufahren. Und irgendwann gab der Citroën sehr seltsame Geräusche von sich.
„Also, für mich fährt ein Auto mit Benzin. An Öl habe ich noch nie gedacht“, sagte mir die Besitzerin, als ich sie von der Tankstelle aus anrief, wo festgestellt worden war, dass das Gefährt nur einen kleinen verkrusteten Rest Öl in sich gehabt hatte. Aber nach dem Auffüllen fuhr das Auto wacker weiter, als sei nichts gewesen.
Bald wuchsen die Berge um uns herum immer höher, die Schweiz zog vorbei und wir verbrachten die Nacht in einem mitgebrachten Zelt, schon in Italien. Ein Auto, ein Zelt, die Sterne … die Welt gehörte uns für einen winzigen Wimpernschlag.
Am nächsten Tag parkten wir unseren kleinen Schatz auf der Fähre Livorno-Bastia ein und setzten über auf Napoleons Geburtsinsel, wo wir das Auto in der Nähe von Grosseto im Süden abstellen sollten. Die wilde Natur nahm uns schier den Atem; aber nicht nur uns. Auch unser Deux Chevaux war wieder etwas asthmatisch. Aber was sollte es, wir hatten ja Zeit! Was wir allerdings nicht mehr hatten, war Benzin. In Bastia war es noch genug gewesen (dachten wir), aber Tankstellen sind - oder waren damals - auf Korsika sehr rar gesät! Und wir steckten mitten in den Bergen. Da hatte ich die glorreiche Idee, den Motor abzustellen und bergabwärts zu rollen. Die Konsequenz war, dass die schnell heißgelaufenen Bremsen versagten - zu unserem Glück bekam ich das mit wieder angestelltem Motor in den Griff, und wir kamen quasi mit dem letzten Tropfen ohne Kolbenfresser an einer Tankstelle an.
Bastia, Korsika
Boote im Hafen von Bastia
Unser Transportmittel, das gleichzeitig das Transportgut war, überstand alle diese Erlebnisse, und wir gönnten uns im Anschluss einen wunderbaren Wanderurlaub für 200 DM auf Korsika. Und ich bin sicher, auch heute gibt es irgendwo auf Korsika eine kleine, schnaufende rote Ente, die immer noch durchhält.