Lukes Gesicht glimmt rötlich im Licht der untergehenden Sonne und ich betrachte seine Haarsträhnen, die sich im Fahrtwind bewegen wie die Ähren der vorbeiziehenden Kornfelder. Ich strecke meine Hand aus dem Fenster und stelle mir vor, wie meine Finger über die Getreidemeere streichen, den Wind formen und Wellen schlagen. Wenn ich jetzt ein Gefühl aufbewahren könnte, dann wäre es dieses hier. Eine Mischung aus vollkommener Sorglosigkeit und der Verwegenheit des ziellosen Fahrens. Die Welt zieht an uns vorbei und obwohl wir über die Straße dahingleiten, fühle ich mich seltsam losgelöst. Ich lächele und betrachte Lukes Gesicht, bis er zur Seite blickt.
„Meinst du, man kann Gefühle aufbewahren?“, frage ich ihn. Er schweigt.
„Naja, Gefühle überkommen doch jeden immer wieder. Aber glaubst du, dass man sie bewusst wieder aufleben lassen kann? Wenn ich irgendwann wieder daheim sitze und in den Regen schaue, kann ich dann nur an den Moment hier denken oder ist es eigentlich das Gefühl dieses Augenblicks, was dann wieder aufkommt?“
Er blickt konzentriert nach vorne und sein Schweigen erfüllt die Luft um uns herum. Dann wendet er mir erneut sein Gesicht zu. „Weißt du, Augenblicke sind einmalig. Nur wann sie enden, kannst du entscheiden. Was wäre, wenn wir jetzt immer weiterfahren würden. Würdest du an das Gefühl der Fahrt oder an einen einzelnen Augenblick denken?“
Ich betrachte das Mädchen, das am Feldrand ihrem Hund hinterherjagt, und überlege. Andere Autos ziehen an uns vorbei. Bäume, Wiesen, Leitplanken und Schilder. „Ich finde, Autofahren ist ein Gefühl von Unendlichkeit“, sage ich schließlich. „Eine Straße führt immer weiter. Weißt du noch, als wir in Kalifornien das Schild „Freedom - Next exit“ gesehen haben? Das war irgendwie seltsam, die Kombination der Begriffe, meine ich. Als müsste man erst von der Straße runter und ankommen, um Freiheit zu finden, dabei ist doch gerade die Fahrt ins Ungewisse eine vollkommene Freiheit. Trotzdem ein schöner Ortsname…“
Luke grinst und zeigt auf das Ortsschild vor uns. Eutingen im Gäu. Ich lache. „Wo sind wir hier? Eutingen im Gäu? Ernsthaft?“
„Wer weiß, vielleicht biegen wir jetzt hier ab und kommen nie zurück. Vielleicht ist Eutingen im Gäu deine „Komm‘ wir fahren ans Meer“-Variante“.
„Ja, klar…“. Er biegt ab und verlässt die Straße. Wir fahren weiter und verpassen die nächste Ausfahrt. Im Rückspiegel färbt sich der Himmel glutrot und vor uns liegt die abenddunkle Straße. Und was wäre, wenn?